26.01.2008 Gerhard Stäbler
"pièces chaudes" spielen
Als wir das erste
Mal die Patitur von "pièces chaudes" gesehen haben,
hatten wir zunächst
die Frage, "wie spielt man überhaupt den zweiten Satz?",
denn es war
nicht einfach, nur durch die graphischen Notation
die Klänge
vorzustellen.
Auch im Vergleich mit den normal notierten ersten und dritten
Sätzen
sah der zweite sehr merkwürdig aus.
Nachdem wir vom
Komponisten den Überblick und die Spielweise des Werkes erklärt
bekamen,
haben wir
angefangen, die Noten zu entziffern.
Der zweite Satz besteht
aus vielen Glissandi und Ton-Repetitionen.
Glissandi werden
mit von unten nummerierten Oktavlagen (römischen Ziffern)
definiert,
in welche Richtungen (Pfeile) sie zu spielen
sind,
und wie oft sie aufgeführt werden sollen (Ziffern).
All diese
Aktionen sind
innerhalb einer bestimmten Anzahl von Sekunden mit entsprechender
Dynamik zu gestalten.
Jede Anweisung ist deutlich und ganz klar,
aber
wenn man alles gleichzeitig machen muss...
Unglaublich schwer!!
"Wie viele
Sekunden sind schon vergangen?"
"Ich weiß nicht mehr, wie viele Glissandi ich
gespielt habe!"
"Ich habe vergessen, mit Dynamik zu
spielen..."
Nach einer Weile
haben wir gemerkt, dass wir den Satz stufenweise üben müssen.
So haben
wir erst angefangen,
selbst gezählte Sekunden aufzunehmen und
diese aufgenommene Zeitschiene beim
Üben laufen zu lassen.
Dabei gab es dann ein grundsätzliches
Problem!
Die Glissandi müssen teilweise sehr schnell
gespielt werden,
doch so schnell konnten wir sie mit bloßen
Händen nicht ausführen.
Da die Tasten eckig und nicht genug
glatt sind, taten uns die Hände sehr weh!
Und wenn wir den
Satz über vier Minuten spielen müssen, würden die Tasten bestimmt
voller Blut sein!
Wie könnten wir dann den dritten Satz
spielen!?
Wir haben sofort den Komponist angerufen und ihm
vorgeschlagen,
den zweiten Satz mit Handschuhen zu spielen.
"Das ist ja eine
gute Idee, ihr könnt auch die mit euren Kleidern passende Farbe
überlegen! "
Diese Zustimmung des Komponisten hat uns zwar
beruhigt,
doch zugleich kam die nächste Frage auf;
wie kann man die
angegebene Anzahl der Glissandi innerhalb einer bestimmten Dauer von
Sekunden schaffen?
Zum Glück hatten wir vor schnellen
Glissandi keine Angst mehr,
aber es war gar nicht leicht,
entsprechend schnell bzw. langsam zu spielen.
Dazu mußten wir uns
noch die Oktavenlagen merken,
wofür wir die Tastatur nicht in Teilen,
sondern als Ganzes betrachten mussten.
Am Ende mussten wir noch die
Dynamik hinzufügen.
Obwohl wir die bei klassischer Musik seltene
extreme Dynamik "fffff" noch nie antrafen,
konnten wir sie wegen der
Handschuhe leicht erreichen.
Die Stellen,
wo zwei Töne als Rahmen gesetzt sind und
in einem Kästchen viele
Pünktchen notiert sind, zeigen Ton-Repetitionen an,
zwischen den Rahmentönen
möglichst schnell, dicht und mit einem Finger pro Hand ausgeführt,
wie ein
"Zwei-Finger-Tippen" auf einer Schreibmaschine.
Mit besonderer Mühe
sollten die Repetitionen möglichst gleichmäßig
und zugleich mit
der ungewöhnlischen Dynamik "ppppp" gespielt werden.
Da sich beide Spieler
wegen der langen Glissandi ständig überkreuzen müssen,
war es notwendig,
dass der Primo-Spieler stehend spielt,
wobei es in dieser Haltung
noch schwieriger ist, leise und gleichmäßig zu repetieren.
Die letzte große
Arbeit bestand darin, den Text auf Englisch bzw. auf Griechisch
zu sprechen;
denn in der zweiten Zeile des zweiten Satzes sollten wir
während des Repetitierens den Text schnell sprechen.
Auf Englisch ging
es noch, aber von Griechisch hatten wir gar keine
Ahnung.
Deshalb haben wir es von einer griechischen Freundin
gelernt.
Dieser zweisprachige Text wird rein klanglich
eingesetzt
und wird durch ungewöhnliche Akzentuierung schwierig in
der Aussprache.
Inhaltlich braucht man den Text nicht
verstehen,
gleichwohl gibt er Hinweise auf die Inspiration für die
Komposition und den Charakter zu spielen.
Auch im
dritten Satz ist ein Text auf Englisch und Griechisch zu
flüstern,
und zwar "neutral" in nomaler, mitterer Geschwindigkeit.
Wir
konnten die Stelle selber aussuchen, wo wir zu flüstern beginnen.
Das
heißt, wir mussten über die Balance zwischen Musik und Text
nachdenken,
da der Ausdruck des Stückes dadurch mit bestimmt
wird.
Wir haben lange überlegt, bis wir unsere Lösung gefunden
haben.
Der erste
Satz ist normal notiert, jedoch ohne
Taktstrich.
Tondauer und Proportion der Tönen müssen die
Spieler selbst bestimmen.
Wie der Titel "crossable" zeigt, müssen wir
oft überkreuzt spielen,
weil der Primo-Spieler auch in tiefer Lage, der
Secondo-Spieler auch in hoher Lage spielen muss.
Daher spielen wir
teilweise stehend.
Was bei der
Aufführung wichtig ist, ist nicht nur das, was in den Noten steht, sondern
auch alle "Zutaten",
also Stehen während des Spiels, Anziehen bzw.
Ausziehen der Handschuhe
oder das Umblättern der Noten,
alles
Teil der Musik
und der musikalischen Performance.
Man kann sich - eigentlich bei jeder
Musik, aber hier umso mehr -
nicht nur ans Klavier setzen
und "Notenköpfe" spielen,
sondern muss man bei der Aufführung
auch die Gestik des Spiels beachten.
Ein wichtiger
Aspekt Gerhard Stäblers ist,
die "Musik nicht nur durch Ohren zu
höhren,
sondern sie auch bewusst zu sehen und zu fühlen".
Durch
dieses Werk konnten wir erneut die Schwierigkeit und die Freude erfahren,
als
Pianisten ein "Schauspiel" auf die Bühne zu bringen.
Fotos: Kunsu Shim
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