15.08.2007  Gerhard Stäbler   "pièces chaudes"
 
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"pièces chaudes", was auf deutsch so viel wie "heiße Stücke" bedeutet,
hat der deutsche Komponist Gerhard Stäbler 2005 für uns geschrieben.
Das vierhändige Werk hat drei Sätze, deren Titel aus den verstreuten Fragmenten
der antiken griechischen Dichterin Sappho stammen.

Stäbler selbst äußert über die Stücke: "Die "pièces chaudes" haben verschiedene Hintergründe:
Zum einen beziehen sie sich mit dem Titel auf die "pièces froides" von Erik Satie,
der Texte zur Klaviermusik notierte, die jedoch nur still gelesen
und als Inspiration für die Interpretation genommen werden sollen.
Bei den "pièces chaudes" sind die Texte teilweise hörbar,
aber nicht verstehbar, sind also eine Erweiterung des Klavierklangs
und nicht semantisch von Bedeutung.
Die "pièces chaudes" beziehen sich auch auf die späten Klavierstücke
von Franz Liszt "Sospiri" und "Resignazione",
die - wie "Sospiri" (Seufzer) - auf eine stimmliche Äußerung verweisen.
Doch die Beziehung zu diesen Stücken reicht musikalisch viel tiefer,
denn vor allem der Tonvorrat selbst wird aus diesen beiden Liszt-Stücken gewonnen.
Dazu tritt da der fragmentarische Text von Sappho,
der wegen seiner verblüffenden Aktualität geradezu einlädt,
dass die Spieler selbst auch ihre Stimme einsetzen."


1.Satz "crossable" MUSIKBEISPIEL

PIECES CHAUDES 1

Im ersten Satz kommt kein Text vor. Doch klingt die Musik wie ein Dialog:
Zwei Spieler spielen abwechselnd in verschiedenen Lagen Akkorde oder Tonfolgen  
mit reicher Dynamik und Agogik.
Wie der Titel zeigt, spielen sie dabei oft überkreuz,
und zwar nicht nur mit den Armen sondern auch mit dem ganzen Köper:
Da der Secondo-Spieler auch in der hohen Lage spielen muss,
sollte er am besten stehend spielen und über den Primo-Spieler hinweg greifen.


2.Satz "don't move stones"MUSIKBEISPIEL

PIECES CHAUDES 2

  Sehr origineller und agressiver Satz.
Im zweiten Satz spielen die Spieler nur Glissandi und äußerst schnelle Ton-Repetitions-Clusters.
In den Noten stehen nebst Dynamik Lage, Anzahl und Dauer der Glissandi
und Tonraum bzw. Dauer der Repetitions-Clusters.
Beide Spieler interpretieren die unterschiedlich
über die ganze Klaviertur verteilten Glissandi sehr schnell und sehr laut.
Dafür haben wir dem Komponist vorgeschlagen, mit Handschuhen zu spielen,
damit wir die Glissandi möglichst schnell und ohne die Gefahr, verletzt zu werden, spielen können.  
Da sich die Spieler immer wieder in die Sphäre des anderen einmischen müssen,
sind sie gefordert, Lösungen zu finden, um fast Unmögliches gleichzeitig zu realisieren.
zum Beispiel müssen sie Ton-Repetitionen auf engstem Raum
mit einem Finger extrem schnell aufführen
oder Glissandi bei sich unterscheidender Geschwindigkeit
in unterschiedliche Richtungen ausbreiten.
Der Text von Sappho, der vom Primo-Spieler auf Griechisch
und vom Secondo-Spieler auf Englisch sehr schnell
und dennoch mit innerer Gelassenheit leise gesprochen wird,
bereichert dabei die Klangfarbe und erweitert die Struktur des Stücks.



3.Satz "mingled with all kinds of colors" MUSIKBEISPIEL

PIECES CHAUDES 3

Im dritten Satz gibt es viele Pausen: Die Musik klingt wie der fragmentarische Text von Sappho.
Stäbler sagt über diesen "stummen" Text:
"Die verlorenen Gedichtteile zwischen den überlieferten Fragmentzeilen, die stummen Texte also,
regen auf besondere Weise die Phantasie an,
reizen zum kombinatorischen Nachdenken
und lassen die Weisheit der antiken Sängerin erahnen - und ihre Umsicht.
Bei diesem Satz verteilt sich Sapphos Text auf die Musik,
er wird an beliebiger Stelle beginnend neutral,
also ohne emotionale "Aufladung", mal zum Klang, mal in die Stille hinein,
mal zwischen Klang und Stille vermittelnd geflüstert.
Die Spieler flüstern und spielen dabei gleichzeit, doch voneinander unabhängig in Zwei Sprachen. 

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